Bye Bias? – Die 7 relevantesten Biases im UX-Design

Hast du schon einmal eine Geschichte gehört, bei der etwas schiefgelaufen ist, und dir gedacht „das hätte ich bestimmt besser gemacht“? Oder dir bei einem reduzierten Produkt gedacht, es wäre ein Schnäppchen und es deshalb gekauft – nur um dann später festzustellen, dass der reguläre Preis kaum höher ist? 

An illustration of a man standing at the top of a light house, watching

Biases – Sie sind überall

Das sind zwei Beispiele für Biases (Hinsight Bias und Anchoring Bias), die uns regelmäßig im Alltag über den Weg laufen – oft, ohne dass wir es merken. Und genau das ist das tückische an Biases: sie schleichen sich ein, beeinflussen unser Denken und Handeln und bleiben dabei meistens unentdeckt. Von Marketing und Sales werden sie gezielt eingesetzt, in der Forschung können sie für verfälschte bzw. ungenaue Ergebnisse sorgen. Und im UX? Nun, da ist beides der Fall. 

Der Impact von Biases im UX-Design

Das UX-Gesetz der “Jakob’s Law” zum Beispiel sagt aus, was der Confirmation Bias beschreibt; „Menschen suchen nach bekannten Mustern und interpretieren Informationen dementsprechend.“. Das heißt also, wenn ein User auf eine Seite kommt erwartet er, dass Elemente sich an den Positionen befinden, wie er es von anderen, ähnlichen Webseiten oder Anwendungen gewohnt ist. Dieses Wissen macht es einfacher, User-freundliche Anwendungen zu designen oder Workflows effizient zu gestalten. 

Doch der Confirmation Bias kann UX-Designer:innen nicht nur ihre Arbeit erleichtern, sondern auch Steine in den Weg legen. Seien es Stakeholder oder Teammitglieder; oder sie selbst, wenn sie in User-Testings unterbewusst die Informationen ihrer voreingenommenen Einstellungen entsprechend beurteilen, interpretieren und auswählen.

Aus diesem Grund ist es essenziell, sich als UX-Designer:in aktiv mit Biases auseinanderzusetzen. Denn wer weiß, was einen Bias ausmacht, kann diese Muster leichter bei sich und bei anderen erkennen und so gegensteuern. Wichtig zu beachten ist hierbei: niemand ist frei von Biases, sie liegen in der menschlichen Natur. Deswegen sollte es einem nicht unangenehm sein, ganz im Gegenteil. Wer offen und ehrlich mit sich selbst an die Sache herangeht, hat es leichter, diese Muster zu erkennen und aufzubrechen. Man sollte sich auch im Klaren darüber sein, dass man nie damit fertig wird. Sonst fällt man am Ende auf die “Objectivity Illusion” bzw. den “Bias Blind Spot” herein – das Phänomen, bei dem man davon ausgeht, objektiver als andere zu sein. Oder wahrnimmt, wenn andere auf Biases hereinfallen, aber man das Gleiche nicht bei sich selbst tut. 

Die 7 relevantesten Biases

Die Liste an Biases ist lang, und nicht alle sind unbedingt im Kontext von UX relevant. Auf welche sollte man also am ehesten achten? 

1. Confirmation Bias  =  Jakob’s Law

Menschen suchen nach Informationen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen.

Wie schon oben erwähnt ist der Confirmation Bias einer der relevantesten für UX-Designer:innen. Nutzer mögen bekannte Muster am meisten. Sind diese nicht vorhanden suchen sie länger nach Informationen, oder übersehen diese sogar komplett. Das kann frustrieren und zu einer negativen User Experience führen. Die Lösung für dieses Problem ist, sich mit etablierten Mustern von bestehenden Anwendungen auseinanderzusetzen und diese passend in den eigenen Konzepten und Designs anzuwenden.  
 
Bei User Testings können außerdem sowohl die Tester:innen als auch die Moderator:innen vom Confirmation Bias beeinflusst werden. Um dem vorzubeugen ist es wichtig, sowohl mehrere Moderator:innen, als auch Testpersonen einzuladen, um die Ergebnisse diversifiziert zu sammeln und auswerten zu können. Auch ist es essenziell, dass die Fragestellungen neutral und bei jeder Testerin gleich gehalten werden. Eine ordentliche Dokumentation hilft, einen Überblick zu behalten und mögliche beeinflusste Informationen besser entdecken zu können.

Eine Illustration einer Frau, die vor einer Blase mit einem Häkchen sitzt, und mit einem Finger darauf zeigt.
Eine Illustration eines Laptops, mit einem offenen Fenster mit einer Frau, die auf einen lächelnden Smiley zeigt.

2. Anchoring Bias / Ankereffekt  =  Aesthetic Usability Effect

Menschen stützen ihre Folgeentscheidungen stark auf den ersten Eindruck, den sie von etwas erhalten haben.

Eine Tirade von Pop-Ups direkt nach dem Öffnen einer Webseite, oder lange Ladezeiten können den ersten Eindruck eines Users so negativ beeinflussen, dass er die Seite abrupt wieder verlässt – und nicht wiederkommt. Sowohl ein solides optisches Auftreten als auch eine reibungslose Funktionalität vermitteln Professionalität und Vertrauen. Um sich von der Konkurrenz positiv abzuheben, sollte darauf deshalb besonders geachtet werden. Wenn es überhaupt so weit kommt, denn: falls eine mobile Webseite länger als 3 Sekunden braucht um zu laden, springen 53% der Nutzer:innen ab. In diesem Fall ist die Folgeentscheidung, keine weitere Zeit mit der Seite zu verschwenden.  
 
Auch bei User Testings sollte man diesen Bias im Hinterkopf behalten. Sowohl Designer:innen, als auch die Proband:innen können von dem ersten Eindruck beeinflusst werden. Für UXler:innen ist es deshalb wichtig, sich diesen Bias vor Testings noch einmal aktiv ins Gedächtnis zu rufen, und für die Proband:innen einen soliden Ablauf zu gewährleisten, der für alle Teilnehmenden gleich ist.

3. Overconfidence Bias / Selbstüberschätzung  =  Paradox of the Active User

Menschen überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und ihr Wissen.

Sowohl bei Nutzer:innen als auch im Projektalltag trifft man diesen Bias regelmäßig an.  
 
User:innen überspringen oftmals aus Übereifer Tutorials, wenn sie eine Anwendung oder neue Funktion das erste Mal nutzen. Das führt jedoch dazu, dass sie später von bestimmten Dingen verwirrt sind. Oder einige Funktionen überhaupt nicht kennen, da sie diese nicht finden. Was hier helfen kann, ist Tutorials jederzeit leicht zugänglich zu machen und/oder dafür situationsbedingt mit reduziertem Informationsgehalt anzuzeigen. So sind die Informationen leichter verdaulich, und die Frustration wird auf einem Minimum gehalten. 
 
Im Projektteam ist man aber auch alles andere als sicher vor diesem Bias. Vor allem das eigene Wissen über die User wird hinter den Kulissen oft überschätzt. Dabei überschneidet sich der Overconfidence Bias mit dem Egocentric Bias, bei dem man u.a. von sich auf andere schließt. Es wird also davon ausgegangen, dass die Mehrheit der User:innen so handelt wie man selbst. Das ist in vielen Fällen jedoch ein Trugschluss, und muss durch Testings überprüft werden. 

Eine Illustration einer Frau, die mit einer Karte in der Hand vor einer weiten Landschaft steht. Über ihr schwebt eine Denkblase, in der sie auf dem Gipfel eines Berges zu sehen ist.
Eine Illustration einer Frau, die mit verzweifeltem Gesichtsausdruck und Körperhaltung neben einer großen Sanduhr sitzt.

4. Loss Aversion / Verlustaversion & Status Quo Bias

Menschen nehmen Verluste als größer wahr als gleichgestellte Gewinne. Menschen nehmen den Status Quo am angenehmsten wahr und vermeiden Veränderung.

„Selten reagierten die Westdeutschen so hysterisch wie bei der Einführung der Gurtpflicht. 1975 verweigerten sich Millionen Menschen dem Lebensretter Sicherheitsgurt. Männer fürchteten um ihre Freiheit, Frauen um ihren Busen – am Ende spaltete der bizarre Glaubenskrieg die ganze Republik.“ Spiegel

Oder vielleicht erinnerst du dich noch an die Empörung, die sich online breitmachte, nachdem Google die Icons für den Google Workspace (Mail, Kalender, etc.) aktualisierte. Heute schreit kein Hahn mehr danach; die Menschen haben sich an den neuen Look gewöhnt und Google wächst kontinuierlich weiter. 
 
Veränderung erst einmal mit Skepsis zu betrachten, liegt in der Natur des Menschen. Sowohl wenn sie nur rein optischer, als auch sogar lebensrettender Natur ist. Deshalb sollte sowohl im Vorfeld getestet werden, wie einschneidend ein Wandel wahrgenommen wird und wie dieser so verdaulich wie möglich verpackt werden kann. Einige Möglichkeiten sind z.B. ein gut darauf zugeschnittenes Tutorial, und/oder eine Ankündigung im Vorfeld. Man sollte sich aber auch bewusst sein, dass man es nie allen Recht machen kann und dementsprechend auf eventuelles negatives Feedback vorbereiten.

5. Halo-Effekt  =  Aesthetic Usability Effect

Menschen nehmen eine Sache aufgrund einiger positiver Eigenschaften als insgesamt positiv wahr.

Diesen Bias sollte man vor allem in Hinblick auf erste Eindrücke im Kopf behalten. Ist das UI-Design z.B. sehr ansprechend, werden funktionale Probleme eher hingenommen, als wenn die Seite altbacken aussieht. Finden Nutzer:innen z.B. eine Funktion, nach der sie explizit gesucht haben und die die Anwendung als Alleinstellungsmerkmal hat, bleiben sie dieser eher treu. Auch wenn der Rest der Anwendung als eher durchschnittlich wahrgenommen wird.

Eine Illustration einer Frau, die im Schneidersitz sitzt. Ihr Hände sind zum Gebet gefaltet, über ihrem Kopf schwebt ein Heiligenschein.
Eine Illustration einer Frau, die strahlend ein Zertifikat über ihren Kopf hält.

6. Self-Serving Bias / Selbstbestätigungsfehler

Menschen schreiben Erfolge sich selbst zu, Fehler dagegen externen Faktoren.

Dieser Bias ist wieder sowohl im fertigen Produkt als auch im Projektteam relevant.  
 
User:innen sollten für erfolgreich angeschlossene Tasks gelobt werden, und Fehlermeldungen sollten ihnen klar zeigen, wo und was sie falsch gemacht bzw. falsch ausgefüllt haben. Damit wird Frustration vermindert, und Verständnis für zukünftige Eingaben geschaffen.  
 
Im Projekt kann es vorkommen, dass Fehler einander zugeschoben werden. Das nimmt nicht nur wertvolle Zeit in Anspruch, sondern stört das Klima im Team. Es ist daher förderlich, nach einer konkreten Lösung zu suchen, als einen Sündenbock.  

7. Recency-Effekt  =  Serial Position Effect / Zeigarnik Effect 

Menschen erinnern sich am besten an die zuletzt erhaltene Information bzw. besser an abgebrochene Aufgaben, als an abgeschlossene.

Den Recency-Effetkt sollte man z.B. bei dem Aufbau von Informationsarchitekturen oder Formularabläufen im Kopf haben. Dieser ist verwandt mit dem Zeigarnik Effect der besagt, dass Menschen unterbrochene Aufgaben besser im Kopf behalten als abgeschlossene Tasks. Denke zum Beispiel daran, wie du ToDo-Listen wahrnimmst; die offenen Aufgaben bleiben dir relativ gut im Gedächtnis. Die abgehakten Aufgaben dagegen verblassen sehr schnell.  Dieses Wissen kann man sich gut zunutze machen, um Funktionen und Informationen für User:innen bestmöglich aufzubereiten und darzustellen. 

Eine Illustration einer Frau, die eine Liste in den Händen hält. Neben ihrem Kopf schwebt eine Glühbirne.

To bias or not to bias

Zusammenfassend kann man sagen: Biases sind nicht per se schlecht. Je nach Kontext nehmen sie verschiedene Rollen ein, vom kleinen Helferlein bis zum Teufelchen auf unserer Schulter. Wenn man weiß, wie man sie erkennt und mit ihnen umgeht, sind sie ein nützliches Werkzeug in unserem Toolkit. Das hilft uns, unvoreingenommener zu arbeiten und das Verhalten der User:innen besser nachvollziehen und verstehen zu können. Das führt wiederum zu besseren Konzepten/Designs und Produkten mit einer tollen User Experience. 

Eine Illustration von einem Check-Symbol in einer Sprechblase. Die Sprechblase hat einem leichten Verlauf von blau in hellblau.

Kurz und Knackig:

  • Biases sind kein Übel, dass man beseitigen muss, oder besser gesagt kann.
  • Der bessere Approach ist, sich ihnen bewusst zu sein. Dann kann man sie teilweise sogar gezielt einsetzen.
  • Am besten ist es, so viele Biases wie möglich zu kennen. Die wichtigsten aber sind:
    • Confirmation Bias
    • Anchoring Bias
    • Overconfidence Bias
    • Loss Aversion / Status Quo Bias
    • Halo-Effekt
    • Self Serving Bias
    • Recency-Effekt

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Illustration einer Person mit langen Haaren, die eine Lupe vor einem Auge hält und eine suchende Pose einnimmt. Die Person scheint zu schweben, mit einem Arm ausgestreckt und den Blick durch die Lupe gerichtet. Die Darstellung ist in einem einfachen Strichzeichnungsstil gehalten, ohne Farbe mit einer schwarzen Linienführung auf weißem Hintergrund.