Google UX Design Zertifikat: Top oder Flop? Der Erfahrungsbericht geht weiter. (Teil 2)

Kassandra Karachaliou

Kassandra Karachaliou

UX/UI Werkstudentin

Inhaltsverzeichnis

Im ersten Teil des Blog-Artikels habe ich dir berichtet, wie sich der Ablauf der Zertifikatskurse gestaltet. Im Folgenden erfährst du, welche Stärken und Schwächen das Programm hat und ob ich es noch einmal machen würde. 


Was sind die Vorteile? 

Insbesondere die Flexibilität in Bezug auf das Tempo ist für mich praktisch. Ich war zwischendurch eine Woche im Urlaub und es gab Wochen, in denen ich keine Zeit hatte, weil zu viel anderes erledigt werden musste. 

Außerdem sind die Kurse gut strukturiert, sodass du die Inhalte nach und nach durchgehen kannst. In der Regel beginnt jede Lektion mit einem Video, in dem kurz die Basics erklärt werden. Darauf folgt eine Leseeinheit, die tiefer ins Detail geht. Hier kannst du dir viele Notizen oder Screenshots machen, auf die du später zurückgreifen kannst. Anschließend wird das Wissen anhand kurzer Quizfragen überprüft, bevor  die Abgabe für die jeweilige Woche erfolgt. 

Die Techniken und Methoden, die bei der Nutzerforschung zum Einsatz kommen werden im Detail erklärt und geübt. Interviews, Personä und User Journeys bilden eine solide Basis, um sich einen Überblick über die Nutzer zu verschaffen und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Brainstorming-Übungen wie Crazy Eights (8 Ideen in 8 Minuten) oder How Might We (Wie könnten wir Problem XY lösen?) haben mir besonders viel Spaß gemacht und dabei geholfen, mich nicht von Anfang an zu sehr in eine Idee zu “verlieben”.

Für das Google UX Design Zertifikat habe ich selbstständig User-Test zum ersten Mal durchgeführt.

Durch alle Kurse hinweg wird die Wichtigkeit der Barrierefreiheit vermittelt, welche meiner Erfahrung nach im Alltag oft unbedacht bleibt. Die Bedürfnisse von Menschen zu berücksichtigen, die von Einschränkungen betroffen sind, hilft am Ende nicht nur diesen Personen, sondern einem Großteil der Menschen. Am Lehrreichsten fand ich die Einsicht, dass eine körperliche Einschränkung nicht permanent sein muss, sondern auch temporär oder situationsbedingt sein kann. Ein konkretes Beispiel für letzteres war ein Vater, der sein Kind auf dem Arm trägt und deshalb nur eine Hand frei hat. Die Frage, die sich daraus ableitet, ist also: Wie kann ich beispielsweise ein Produkt designen, das gut mit nur einer Hand zu bedienen ist?

Was sind die Nachteile?

An manchen Stellen sind die Inhalte des Programms zu oberflächlich. Es heißt zwar “UX-” und nicht “UI-Design-Zertifikat”, aber da die Aufgabe ist, am Ende ein fertiges, High-Fidelity-Produkt für das Portfolio zu entwickeln, sollte meiner Meinung nach mehr Fokus auf das Lernen von UI-Design-Basics gesetzt werden.

Die Gestaltprinzipien werden zwar im Detail erklärt, aber häufig werden daraus keine wichtigen Schlüsse für finale Designs gezogen. Den Großteil dieses Bereichs habe ich mir daher selbst angelesen oder intuitiv gestaltet. Da ich ein gutes Gespür für Ästhetik habe, ist mir das vergleichsweise leichtgefallen. Wenn ich die Aufgaben anderer Teilnehmenden bewertet habe, ist mir allerdings häufig aufgefallen, dass die Designs laienhaft wirkten. Ich denke, diese Personen hätten von tiefgründigeren UI-Design-Lektionen profitieren können.

Leider gibt es keinen persönlichen Mentor oder erfahrenen Designer, der sich die Arbeiten anschaut und wertvolles Feedback gibt. Die Arbeiten werden nur von anderen Teilnehmenden bewertet, die logischerweise auf einem ähnlichen Level sind . Die Kriterienkataloge zur Bewertung sind auch nur begrenzt hilfreich, da sie in der Regel wenig mit der Qualität der Arbeit zu tun haben, sondern eher mit dem schlichten Erfüllen von Mindestanforderungen. Konstruktives Feedback musste ich mir also über andere Wege einholen, entweder über erfahrene Designer:innen im Bekanntenkreis oder über Websites wie ADPList, die kostenloses Mentoring anbieten. 

Das Template für die Case Studies ist designtechnisch sehr generisch, weshalb ich mir ein eigenes Design auf meiner Portfolio-Website erstellt habe. Zum einen bin ich der Meinung, dass es wichtig ist, eine persönliche Note einzubringen. Zum anderen habe ich bereits erwähnt, dass es essentiell ist, deine visuellen Designskills zu präsentieren, wenn du dich mit dem Portfolio bewerben möchtest.

Ich hätte gerne zwischendurch Feedback von einer erfahrenen Person erhalten.

Mein persönliches Fazit

Mir war es wichtig, einen festen Rahmen zu haben, in dem ich mich weiterbilden kann, da ich keine Person bin, die sich allein mithilfe von YouTube-Tutorials Neues beibringt. Da es so viele Informationen im Internet gibt, war es hilfreich, eine kuratierte Auswahl von Lektionen zu haben, die ich chronologisch durchgehen konnte. Andernfalls hätte ich nicht gewusst, wo ich überhaupt anfangen soll.

Wie mit vielen Dingen im Leben kommt es auch bei diesem Zertifikat darauf an, wie du die gemachten Erfahrungen weiterentwickelst. Wie bereits erwähnt, habe ich mich mit einigen Punkten sehr intensiv beschäftigt, beispielsweise mit dem Prototyping in Figma. Das hat mir einen enormen Vorteil und Sicherheit in diesem Bereich verschafft. Allerdings kommt Figma, was das Prototyping angeht, schnell an seine Grenzen. Programme wie Axure sind besser geeignet, um Prototypen zu bauen, die sich quasi wie das finale Produkt bedienen lassen. Daher kann ich nur betonen, wie wichtig es ist, sich neben dem Zertifikat selbstständig zu informieren und auszuprobieren, denn gerade die Arbeit mit der jeweiligen Software verlangt viel Übung.

Unter meinen gegebenen Umständen (begrenztes Budget, unregelmäßiger Zeitplan) würde ich das Zertifikat definitiv noch einmal machen. Auch wenn ich nicht mit allem zufrieden war, habe ich vieles mitgenommen und meine Fähigkeiten verbessern können. Da ich insbesondere noch in der Nutzerforschung Lücken hatte, konnte ich für diesen Bereich ein tieferes Verständnis und Know-How gewinnen. Daher denke ich, dass ich nun ein umfangreiches Skillset besitze, um mich UX-Projekten anzunehmen.

Kurz und knackig – Tops und Flops

  • Top: Übersichtliche Struktur, kuratierte Auswahl an Lektionen, zeitliche Flexibilität. 
  • Flop: Teilweise recht oberflächlich, kein persönlicher Mentor, kein Feedback durch erfahrene Designer:innen. 

Lohnt sich das Zertifikat für dich?

Die Frage kannst du schlussendlich am besten selbst beantworten. Es kommt stark darauf an, worauf du Wert legst. Insbesondere wenn du eine kostengünstige Einführung in das Thema und ein paar erste Projekte für dein Portfolio benötigst, könnte sich das Zertifikat für dich lohnen. Wenn es dir besonders wichtig ist, im Rahmen des Programms einen persönlichen Mentor zu haben, der dich betreut, wirst du hier leider enttäuscht werden und solltest dir eventuell eher einen der Kurse von CareerFoundry ansehen (Achtung: gut bewertet, aber sehr teuer!).

Ich denke, das Wichtigste ist, nicht mit der Erwartung hineinzugehen, dass du nach dem Zertifikat ein vollausgebildeter UX-Designer bist. Zum einen fehlt die Praxiserfahrung, zum anderen verändert sich das Berufsfeld rasant. Es entstehen fortlaufend neue Trends und es kommen regelmäßig neue Design-Programme auf den Markt (oder Adobe kauft einen ihrer größten Konkurrenten auf). Du solltest dir also bewusst sein, dass in diesem Job stetige Weiterbildung und Anpassung dazugehört.


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